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Samstag, 26. März 2011

Ein Workshop mit Juan Carlos Lérida - Wenn weniger mehr ist




München
18.-20. Februar 2011

Was erwartet man, wenn man sich für einen Technik-Workshop mit Juan Carlos Lérida anmeldet? Erwartet man neue Inspiration, große Strukturen, anspruchsvolle Sequenzen? Oder erwartet man, Atmen zu lernen? Sich größer zu machen? Das Bein zu heben? Man erwartet mehr – und man bekommt weniger, doch das ist ausnahmsweise mal sehr viel mehr.

Es beginnt eigentlich mit einer Überraschung. Lérida dreht sich einfach um und fragt. Was wollt Ihr? Was bereitet Euch Schwierigkeiten in Bezug auf Flamenco-Technik. Welche Probleme wollt Ihr lösen? Da ist man erst mal sprachlos, denn man hat erwartet, ein auf Distanz gehaltenes, kompaktes Potpourri vorgefertigter Trainingsabläufe zu bekommen, denen man folgen kann oder eben nicht. Anstatt dessen entsteht jetzt ein gemeinsames Suchen nach dem, was einen selbst an die Grenzen führt – und Lérida wird mit uns für drei Stunden zum Grenzgänger, der uns an der Hand nimmt und mit uns von außen nach innen und zurück nach außen reist.

Weißt Du, wo Dein Atem bei dieser Bewegung hinfließt, fragt er? Nein. Und er zeigt es uns, lässt uns atmen, einatmen, ausatmen, und mit der Bewegung mitatmen, bis in die Lendenwirbelsäule und zurück. So merkt man, wie ein einfaches Armheben und Holen mit den Händen plötzlich in eine unglaubliche Energie hineinwächst, die man tatsächlich nicht nur spüren, sondern auch sehen kann. Wie groß wird eine Bewegung auf einmal. Mit wie wenig man so viel erreichen kann, erstaunt mich bis heute. Zwischendurch fragt man sich, ob man tatsächlich in einem Flamenco-Kurs ist bei all dem lauten Atmen. Und gleichzeitig wird einem bewusst, um was es hier tatsächlich geht. Nicht um wildes Figuren-Hopping oder uninspirierte Körper-Imitation. Hier geht es um Energie, um die Impulse, die man nur aus sich und nicht aus vermeintlich großen Ablenkungsmanöver-Bewegungen holen kann. Hier geht es um die Elementarteilchen, die etwas Größeres erst möglich machen, um die Kleinigkeiten, die erst dann sichtbar werden, wenn sie spürbar geworden sind. Man ist am Ende durchgeschwitzt, ohne viel getanzt zu haben und fragt sich, wovon. Von all dem Einsatz, der im Kopf stattfindet, der Energie, die man plötzlich mehr einsetzt in so altbekannten Bewegungen, von dem Vielen, was man auf einmal gibt im Wenigen.

In einer einfachen Partnerübung wird einem da klar, was man bei Zapateados oftmals falsch macht. Bodenkontakt ja, aber immer flexibel, mit Rückwirkung nach oben, nicht im Boden abtauchen, nicht fest werden, nicht kleben. Der Partner steht hinter uns und zieht uns mit Kraft nach oben, hält uns fest und gibt uns so die nötige Leichtigkeit in den Füßen. Als wir es allein probieren, dann der beeindruckende Effekt: Die Füße werden schwereloser, schneller, flinker, von oben gehalten und gestützt. Wir fühlen uns fest im Oberkörper, hier liegt unsere Stütze, unser Zentrum, das fest bleiben soll, alles andere soll sich bewegen wie die Äste des Baumes im Wind, getragen vom Atem. Das zeigt uns Lérida immer und immer wieder, mit hochgezogenem T-Shirt, wie eine Marionette sollen wir sein, sagt er. Getragen durch unsere eigenen Fäden. 



Foto: José Palomo

So begeht Lérida auf ganz experimentelle, energetische, erfinderische und einfühlsame Weise einen Technik-Kurs, der völlig improvisiert ist, der aus dem Moment heraus entsteht, der sich biegen und formen lässt und den Impulsen folgt, die er von den Schülern, von innen heraus bekommt. Individueller geht es kaum. Und umso erstaunlicher, das in einem dreitägigen Workshop zu erleben, bei dem man erwarten würde, unter Druck des Lehrers viel Material transportiert zu bekommen. Lérida ignoriert das offenbar völlig und zeigt wieder: weniger ist mehr und macht zum leitenden Thema: Impulse fühlen, Impulse zulassen, Impulsen folgen.

Und dann das Endes des letzten Kurstags. Ein Kreis. Die Bewährungsprobe der eigenen Energiearbeit. Zu einem Tango-Flamenco-Mix soll jeder improvisiert das umsetzen, was er gelernt hat. Wie erstaunt war ich selber, wie frei ich mich plötzlich gefühlt habe, wie ich ohne zu denken und mit Vertrauen tatsächlich der inneren Hand gefolgt bin, die mich geführt hat, die mich geatmet hat. Und vielleicht ist es genau das, was uns Lérida mitgeben wollte: Vertrauen in die eigenen Impulse. Und er selbst ist die Quelle, der Energiespeicher, Lérida ist wie ein Akku, an dem man sich aufladen kann. Und dessen Wirkung von sehr langer Dauer ist.

juancarloslerida.com

(Dieser Artikel erscheint auch in der nächsten Ausgabe der ANDA 95, März / April 2011)