« Je suis juste là‚ j’ouvre les yeux‚
je les referme et je
ne sais rien‚
je ne pense rien‚ je ne sais pas‚
je ne peux rien dire‚
je ne
sais pas si je suis bien ou mal.
Je suis juste là. »
(Jean-Luc Lagarce "L'apprentissage")
Flamenco-Festival Düsseldorf, 30. März 2013:
Moderner Kunst kann man sich auf zwei Arten nähern.
Die unvoreingenommene Version: Man läßt das
Werk einfach auf sich wirken, die Farben, die Formen und macht sich so seine
eigenen Gedanken.
Variante zwei: Man kennt die Entstehungsgeschichte des œuvres
und ist mit Hintergrundinformationen versorgt, sprich man weiß, was der
Künstler sich „dabei“ gedacht hat… Beides hat seinen Reiz.
Und beides habe ich am Samstag erlebt. Als ich in die Vorstellung gehe, kenne
ich lediglich den Protagonisten, den Titel "El aprendizaje" und die Kurzinfo, dass die
Hauptfigur des Stückes ein Mann ist, der aus dem Krankenhaus entlassen wird.
Punkt. Mehr nicht. Natürlich ahne ich noch, dass mich kein Flamenco puro erwartet…
„Ich weiß nichts. Ich bin einfach hier…“ Mit
den Worten beginnt Juan Carlos Lérida
und mit ihm ein Flamenco-Tanztheater der besonderen Art. Flamenco Contemporáneo
vom feinsten. Trotz (… oder wegen?) meiner „Unwissenheit“ kann ich mich ganz
auf Léridas Körpersprache einlassen, auf teilweise skuril anmutende Bewegungsabläufe.
Oft gegen alle gängigen (Flamenco-)Regeln verstoßend. Lérida barfuß. Er torkelt, kommt aus
dem Gleichgewicht. Dann wiederum exakte Körperbeherrschung bis in die
Fingerspitzen in einer Soléa. Verwunderung und Bewunderung meinerseits. Dazu
der Sound: Geräusche, elektronische und sakrale Klänge. Sie überlagern sich,
mischen sich mit Flamenco und dann wieder Stille. Lérida stimmt leise eine
Alegría an…
Nach knapp 60 Minuten ist alles vorbei.
Im Foyer haben die Künstler
Juan Carlos Lérida, Roberto Romei (künstlerische Leitung) und Sila (Musik) anschließend
zum Publikumsgespräch geladen. So komme ich also nachträglich zur zweiten Betrachtungsvariante,
denn nun folgen Hintergrundinfos. Grundlage ist das französische Stück das
Dramatikers Jean-Luc Lagarce:„L’apprentissage“. Ein Mann wacht aus dem Koma auf,
hat alles vergessen und muß alles neu erlernen. Dieses Stück - der Neubeginn, die
Suche nach sich selbst- wollte Lérida in den Flamenco übertragen. Dafür hat er
sich mit dem in Barcelona beheimateten Roberto Romei zusammengetan, seines Zeichens
ein Spezialist auf dem Gebiet der Biomechanik. Biomechanik meint hier die in
den 1920ern in Rußland entstandene Bewegungsmethodik für Theater-Schauspieler. Diese Körperlehre verschaffte Lérida neue Räume, Flamenco-Technik und den Rhythmus
zu benutzen und zu erweitern. Der Mann wacht also auf, sein Körper macht eine Bewegung,
aber er kennt diese nicht. Unsicherheit. Es beginnt die Phase der
Selbstfindung. Und die Suche, was Flamenco für ihn ist. Er versucht immer wieder,
das was da ist, wiederzuerkennen. Das gelingt ihm immer besser. So benutzt Lérida
in einer Schlüsselszene des Stückes seinen Musiker Sila quasi als Puppe und
stellt mit ihm Bewegungen nach. Bewegungen, die er neu erlernen muß. Am Ende gelingt die perfekte Tanzpose:
Klar erschließen sich durch dieses Nachgespräch jetzt für
mich manche Szenen besser, aber gefallen hätte es mir auch so. Beim Publikum
kam das Stück übrigens gut an, gemessen am doch recht ordentlichen Schlussapplaus.
Dass so ein Stück nicht jedermanns Sache ist, ist auch klar. So hat sich eine
Zuschauerin hinter mir am Ende recht lautstark echauffiert: "Zählen kann ich selbst…"
in Anspielung auf eine der Anfangsszenen des Stückes. Das ist für mich quasi
dasselbe wie die Aussage „Das hätte ich auch gekonnt…“ bei Betrachtung eines
Mondrian-Gemäldes. So ist es halt mit moderner
Kunst. Da fehlt eben manchmal der intellektuelle Zugang, um es mit Hape Kerkelings
„Hurz“ zu sagen… ;)